Eines schönen Tages...

komme ich, leicht entnervt wie meistens, von der Schule zurück ins traute Heim. Auf dem Tisch liegt ein grün-grauer Umschlag. Neugierig drehe ich ihn um und lese einen roten Stempel: BUNDESWEHR.
Das Herz schlägt schneller, der Schweiß rennt wie der mächtige Mississippi die Stirn herunter, der Adrenalinspiegel steigt ins Unermessliche und ich frage mich: "Hilfe, was wollen die jetzt schon wieder?"
Außer Atem öffne ich den Umschlag und blicke auf das Blatt. Darauf steht: Musterungsbescheid. Nun ist es soweit. Das fröhliche, unschuldige Leben eines jeden männlichen Bundesbürgers ist endgültig vorbei. Zum angegebenen Termin geht's nach Lüneburg, wo das Kreiswehrersatzamt hinter drei oder vier Kasernen gleich in der richtigen Ecke versteckt liegt. Nach einigem Suchen finde ich schließlich das harmlos aussehende Gebäude. Schon vor dem Gebäude treffe ich Andere, die auch dran sind. 
Nachdem ich die erste Hürde (den Pförtner) beim Eintreten überwunden habe, begebe ich mich in einen Warteraum. Bevor es richtig losgeht, habe ich noch etwas Zeit, mich im Warteraum umzusehen. Dort liegen so interessante Fachzeitschriften und Informationsbroschüren wie "Kirche und Soldat" oder "Beruf: Bundeswehr" herum. Damit kann man sich darüber informieren, was man zu erwarten hat, sollte man sich für die Bundeswehr entscheiden. Dort findet man zum Beispiel auch ein Foto von einem typischen Bundeswehr-Kantinen-Essen. Man sieht einen großen Topf aus dem ein junger Rekrut mit einer großen Kelle unidentifizierbares, braunes Zeug auf einen Teller klatschen will. Daneben steht als Bildbeschreibung: Erlesene Gourmet-Küche bei der Bundeswehr (Kein Witz!). Daß der Fraß wirklich nicht schmeckt, konnte ich schon im Verteidigungsministerium feststellen, die wir im Rahmen einer Kursfahrt heimgesucht hatten.
Irgendwann kommt ein Soldat (Modell Wüstenkämpfer, sah jedenfalls so aus) herein und begrüßt die Wartenden. Nacheinander werden alle in sein Büro gerufen. Wenn man eintritt, fliegt Einem ein nicht sehr freundliches "Setzen!" entgegen. Ich setze mich und erfülle seine aus höchstens zwei Worten bestehenden und im Befehlston gehaltenen Aufforderungen, zum Beispiel den Personalausweis, die Ladung zur Musterung oder den Schwimmpass vorzulegen. Sollte einem der Befehlston missfallen, ist es taktisch unklug zu erwidern: "Reden Sie nicht so mit mir, wir sind hier nicht beim Bund." Dann wird man nämlich erst mal eine Viertelstunde lang zusammengefaltet, was man noch im Warteraum hören konnte. Auch ist der Inquisitor nicht sehr erbaut darüber, wenn man Schwimmfähigkeit angibt, aber den Schwimmpass nicht vorlegen kann.
Hat man das einigermaßen unbeschadet überstanden, kommt der nächste Teil: Ausziehen. Zu diesem Zweck werde ich in einen Raum geführt, in dem lauter Schwimmbadschränke stehen. Kleiner Tipp am Rande: Shorts darf man übrigens anbehalten, sonst aber nichts. 
Ein wenig frierend geht's dann in den nächsten Raum. Dort wird von einem Arzt erwartet. Er erzählt, wie vom Tonband abgespielt, was er tun wird, wozu einige Größen- und Gewichtsmessungen zählen. Dann kommt der nächste Spaß: Der Halbgott in Weiß öffnet im Raum eine Tür. Dahinter steht eine Art Schrank mit Bechern darauf und ein Waschbecken. Seine Einführung: "Sie nehmen sich einen leeren Becher, füllen ihn bis zu einer Daumenbreite mit Urin, stellen den Becher in dritte Reihe zu den Anderen, waschen sich die Hände, machen sonst nichts und kommen sofort wieder raus!" Wenn man etwas länger braucht, kommt er überraschend herein und fragt, ob alles in Ordnung sei. So fertige ich also meine A-Probe an und komme wieder heraus. 
Danach geht's in den nächsten Warteraum, wo man sich einen herumliegenden Zettel durchlesen soll. Im Warteraum sitzen dann meist die Anderen, mit denen man zusammen gemustert wird. Dort kursieren schon erste Gerüchte über weitere Maßnahmen bisherige Ergebnisse. Doch zurück zum Zettel. Darauf steht, dass man als Vegetarier bei der Bundeswehr trotzdem Fleisch zu essen habe, nachdem man eine Umgewöhnungskur zu erdulden habe (Na toll!).
Dann wird man per Lautsprecher in den nächsten Raum gerufen. Dort sieht alles zunächst sehr harmlos aus: an einem Tisch sitzen zwei Ärztinnen und begrüßen Dich überraschend freundlich. Als Nächstes lässt man Fragen über erlittene Krankheiten und Drogenkonsum über sich ergehen. Dann folgen ein Seh- und ein Hörtest, letzterer ist leicht zu bestehen, da man sehen kann, wann die eine Ärztin den tonerzeugenden Knopf drückt. Soweit so gut.
Doch jetzt geht's an Eingemachte! Man soll sich gerade hinstellen und die Shorts und eventuell anbehaltene Unterhosen ausziehen. Die Ärztin zieht dann einen durchsichtigen, weißen Latex-Handschuh mit den Worten "So, Herr..." an. Sie greift dann vorne an das beste Stück des Mannes und fordert zweimal (pro Hoden einmal) auf: "Bitte husten Sie mal." (Wird auch EKG = Eier-Kontroll-Griff genannt). Das trifft aber wenigstens Jeden. Das war aber noch nicht Alles. Als Nächstes heißt es: Nach vorne beugen. Es folgt, wenn man Pech hat, das, was beim Zoll als Körperhöhlenuntersuchung bekannt ist oder auch den "Goldfinger", wie scherzhafte Urologen das nennen. Eine nähere Beschreibung erspare ich mir (da zum Glück nicht selber erlebt und nicht sehr appetitlich). 
Es geht noch weiter... erstmal geht's wieder zurück in den Warteraum und erneut unterhält man sich mit den Anderen. Diejenigen, die den EKG usw... noch vor sich hatten, konnte man durch lebhafte Schilderungen Panik einjagen. Jemand Anderes wiederum erzählte, dass die bei ihm beim EKG merkwürdigerweise "nur eins statt zwei" gefunden hätten (O-Ton). 
Die nächste Station ist ein weiteres Untersuchungszimmer mit noch einem Arzt. Er will den Blutdruck vor und nach 20 Kniebeugen und ähnlichen Gymnastikübungen messen. Halbnackt Turnübungen machend kommt man sich ziemlich lächerlich vor, besonders, wenn dann auch noch eine Büroangestellte mit ihrem Kleinkind hereinkommt, die zu schmunzeln anfängt und deren Kind fragt "Mami, was macht der denn da?".
Dementsprechend erschöpft (oder auch nicht) durfte ich wieder gehen und mich anziehen. Kaum wieder im Anfangswarteraum, werde ich über Lautsprecher ausgerufen. Diesmal nix Schlimmes, nur allgemeine Infos zur Bundeswehr und zum Zivildienst. Danach ist die Prozedur fast geschafft. Ich durfte mir noch eine kleine Fahrtkostenerstattung abholen (der Lichtblick des Tages). Danach ist der Weg nach Hause frei. Es sei denn...
Es sei denn, man muss wie ich zur Nachmusterung. Lustige Dinge können da auf Einen warten wie zum Beispiel Magenspiegelung (=Schlauch schlucken, ist aber an mir vorübergegangen) oder Ultraschalluntersuchung (Bin ich schwanger?). Letztere wurde an mir vorgenommen und die Ärzte erweckten nicht gerade einen guten Eindruck "Ist das jetzt die Milz? - Nein, das muss eine Niere sein. ...". Besonders großzügig sind die Wartezeiten ausgelegt (> 2,5 Stunden), um dann zu erfahren, dass ich schon längst nach Hause hätte fahren können... .
Das war's dann aber wirklich. Und ich weiß auch, warum ich Zivildienst gemacht habe und nicht zur Bundeswehr gegangen bin.

Bako
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2001-04-10
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