Auf in die Schlacht, Bummler!

Seitenwechsel: Das Faszinierende am Fußball ist ja, dass man sein Leben lang dem Sport treu bleiben kann. In einer Übergangsphase zwischen dem 30. Und 40. Lebensjahr werden die Fronten gewechselt. Spätestens dann. Der gerade noch aktive Ballartist wird zum Fan. Zum Anhänger. Zum Schlachtenbummler. Schon im Kindesalter werden die Weichen gestellt. Der Bettbezug mit Vereinslogo, der Schal mit den aufgenähten oder (in der sparsamen Variante) aufgedruckten Meistertiteln, die Kakao-Tasse mit dem Lieblingsspieler. Das gehört einfach dazu. 

Wer im Kindergarten keinen Lieblingsverein hat, ist verloren. Er wird ausgegrenzt. Man kann sich nicht auf die Seite der Werder-Fraktion oder der Bayern-Mitläufer schlagen, nein, es ist nicht mal ein Platz vorgesehen bei den HSV-Exoten. Man bleibt allein. Noch schlimmer: Man ist Fan des VfB Stuttgart. Oder von Energie Cottbus! Muss man da noch etwas zu sagen? Schon die Vierjährigen wissen, dass mit diesen Leuten (spätere GEZ-Fahnder) nie etwas anzufangen sein wird. Sie werden bei der Mannschaftsaufteilung auf dem Bolzplatz ungeachtet ihrer Fähigkeiten immer als letztes gewählt und können sicher sein, dass sie nie hinten im Bus der Klassenfahrt sitzen dürfen. Dort sitzen nur die Jungs, die wissen, wo es langgeht. Mit Schal, Trikot und selbst gemalten Logos auf den Rücksäcken. Immer dabei: Der Kassettenrecorder. Aus diesem dröhnen schon jetzt die Hymnen, die unzählige Jahr später immer noch für Gänsehaut sorgen. Nur fährt man jetzt nicht mehr in die Jugendherberge, sondern zu seinem Club.

Ganz wichtig allerdings, dass man nicht einfach nur nach Kaiserslautern fährt. Man fährt auf den Betzenberg, an die Weser, auf den Bökelberg. Und man spielt nicht einfach in Schalke, sondern auf Schalke. Der Fan weiß: Hier geht es nicht um Kleinigkeiten, sondern um Glaubensfragen. 

Jedes Wochenende spaltet sich die Nation in wenigstens 18 verschiedene Gruppierungen. Je nach Blickwinkel wird der Nachbar zum Bayern-Anhänger oder zur Bayern-Sau, der Kollege zum Dortmund-Kumpel oder zum Ruhrpott-Kanacken. Legitime Vokabeln im sozialen Schmelztiegel Fußballstadion. Der Gemüsehändler trifft den Bankdirektor und weiß, dass er wenigstens diesen Nachmittag dazu gehört. "Wir Schalker", demnächst als Sondereintrag auch im Personalausweis. Lösen kann man sich von seinen Vorurteilen nie. Trifft man auf der Straße fremde Menschen, erleichtern die Symbole der Vereine schnell die Einordnung. "Und sie singen wieder: We are red, we are white, we are danish dynamite. Das heißt soviel wie: Wir sind rote, wir sind weiße, wir sind dänische...äh...". Heribert Faßbender weiß genau, wie man sich zu verhalten hat als Fußballfan. Politisch unkorrekt, voreingenommen, parteiisch, gnadenlos - mindestens sieben Tage die Woche.

Nirgendwo sonst als auf den Tribünen der Nation liegen blanke Ohnmacht und grenzenloses Glück so nah beieinander. Wenn die 87. Minute läuft, noch kein Tor gefallen ist und die eigene Mannschaft stürmt, scheinen Himmel und Hölle Eins zu werden. Es gibt nur noch den Fußballplatz. Jeder einzelne Fan würde sofort sein Leben geben für die Entscheidung auf dem Platz zu seinen Gunsten. Ohne mit der Wimper zu zucken. Die Spieler sind in diesem Moment keine Menschen mehr, sie sind Götterboten. König Fußball regiert die Welt. Das Spiel entscheidet, wie die kommende Woche wird. Frust oder Lust, Freude oder Trauer, Glück oder Unglück.

Als Spieler weiß man, was die Fans wert sind. Effenberg und Co. zählen nicht. Sie können über die Schlachtenbummler meckern oder herziehen. Meiner Meinung nach sollte man den Fans ein Denkmal bauen. Jedem Einzelnen. Egal was passiert - am nächsten Sonntag sind sie nämlich wieder da.

krü
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2001-04-20
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